Richard J. Neutra Gesellschaft e.V.

Möbel, Publikationen und Typographie

Richard Neutra wird gemeinhin mit seinen lichtdurchfluteten Bungalowvillen in üppigen Gartenräumen assoziiert. Weniger bekannt sind seine schon in jungen Jahren ausgeprägten andere Talente und Entwürfe. Er war nicht nur Architekt, sondern auch talentierter Landschaftsplaner, Möbeldesigner, Zeichner, Typograph und Schriftsteller. Schon sein prägnanter unverwechselbarer Zeichenstil und die wohlüberlegte farbige Gestaltung in seinen frühen Zeichnungen und Skizzen von Reisen oder aus den Kriegsjahren deuten seinen besonderen Gestaltungswillen an. Er begeistert sich für technische Innovationen, für Theaterkunst und Kostüme. In seiner Züricher Zeit wird er an die Pflanzenkunde und Gartenbau herangeführt. Er liest viel und ist selber fähig, anregend zu schreiben. Das Mobiliar und die Gestaltung der Innenräume seiner Bauten möchte er von Anbeginn an nicht alleine seinen Nutzern überlassen. Es entsteht ein vielfältiges und weit über die Bauten hinausgehendes Gesamtwerk.

Möbel und Einrichtung

Neutra betätigte sich in seiner Berliner Zeit 1923 als junger Architekt nebenher als Komparse am Theater am Nollendorfplatz. Womöglich daher inspiriert, entwickelte er ganz technikaffin in seinem ersten (im Büro Mendelsohn entworfenen) Wohnhaus eine Drehbühne im Erdgeschoss, die dem Wohnraum unterschiedliche veränderbare Nutzungen zuordnen konnte. Damit war der Grundstein gelegt für eine bis an sein Lebensende geprägte ganzheitliche Gestaltung seiner Bauten. Wie kaum ein anderer Architekt entwarf Neutra für sein Auftraggeber der über 200 Bauwerke spezielle Einbauschränke, Bücherregale, Betten und Sitzmöbel, Kamine oder integrierte Leuchten um einen stimmigen Eindruck seiner Hochbauentwürfe erzielen zu können. Doch neben diesen Einbaumöbeln entwickelt er auch passende Einzelmöbel, manche davon in Kleinserien. Auf Auktionen erzielen originalen Möbelstücke aus von Neutra errichtenden Häusern heutzutage hohe Preise.

Für das Wohnhaus, das 1929 seinen Durchbruch in Amerika markiert, das Lovell House in L.A., sind erste funktionale und aufmerksam entwickelte Einzelmöbel aus Stahl und Holz entstanden: Der „Cantilever Chair“, der „Easy Chair“ (Bild) oder die Sofa- und Sitzserie „Alpha Seating“.

Die für das eigene Wohnhaus, das experimentelle VDL Research House entwickelte er 1931 eine indirekt die Decke anstrahlende Stehleuchte aus satiniertem Stahl, die heutzutage von Martinelli Luce hergestellt wird.

Anfang der 1940er Jahre entwarf Neutra für zwei Musterwohnungen der am Meer gelegenen Werftarbeitersiedlung „Channel Heights“ den „Boomerang Chair“ und dem „Channel Heights Stool“, die heute neben anderen Möbelstücken von der Firma VS lizensiert wieder hergestellt werden. Da es nicht zum Auftrag der Möblierung kam, setzte er seine Entwürfe -teilweise auch überarbeitet- in anderen seiner Projekte ein.

Bemerkenswert ist auch der multifunktionale „Camel Table“ von 1951 für den Wohnraum in einem kleineren Wohnhaus, dem Logan House. Zu den Mahlzeiten in der Höhe als Esstisch nutzbar, kann der Tisch mit seinen beweglichen Beinen wie ein Kamel „in die Knie gehen“ und nachmittags oder abends als Coffee-Table dienen. Schließt sich da nicht ein Kreis zu den ersten veränderbaren Wohnraumentwürfen in Berlin?

Richard J. Neutras Skizze des Lovell Easy Chairs von 1929 befindet sich heute im Archiv der UCLA University of California, Los Angeles.

Cantilever Chair Wood

Cantilever Chair Steel

Tremaine Side Chair Steel

Tremaine Side Chair Steel

Cantilever Chair Steel

Cantilever Chair Wood

Boomerang Chair

Boomerang Chair

Publikationen

Richard Neutras -auch durch seinen zeitweiligen Lehrer Adolf Loos geprägter- Wunsch nach Amerika zu gehen, war ebenso motiviert durch die intensive Lektüre der Anfang der 1910er Jahre publizierten Wasmuth-Alben über die Architektur Frank Lloyd Wrights oder Publikationen zu Louis Henry Sullivan. Diese Informationsweitergabe über Text und Bilder muss ihn derart geprägt haben, dass Neutra -kaum hat er 1923 Amerika erreicht- selbst anfängt über innovative amerikanische Bauten und Bauweisen, also zunächst über andere Architekten und deren Bauten, zu schreiben. Man muss annehmen, dass er dafür- neben der Bürotätigkeit als Broterwerb, dem allgemeinen Erlernen der englischen Sprache und dem Zurechtfinden in der neuen Welt und Kultur- in den ersten amerikanischen Jahren alle erreichbaren Publikationen gelesen und viele Baustellen oder Neubauten besichtigt haben muss. 1926 wird das erste von Neutra verfasste Buch „Wie Baut Amerika? im Verlag Julius Hoffmann, Stuttgart veröffentlicht.

Zu gleicher Zeit bis in die 1930er Jahre hinein verfasst er Artikel in der vom Deutschen Werkbund verlegten und in dieser Zeit wichtigsten Zeitschrift für Formgebung „Die Form -Zeitschrift über gestaltende Arbeit“. Geprägt durch eigene Studienreisen berichtet er über  modernes Bauen in Amerika, in Japan oder auch China. Die Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ erschien ab Herbst 1926 auf Initiative Ernst Mays, auch hier kann sich Neutra als Autor diverser Artikel profilieren, und auch über seine eigenen Bauten in Amerika lässt er hier erstmals berichten. 1929 ist er einer der amerikanischen Vertreter beim CIAM Kongress 1929 in Frankfurt am Main, der über „Die Wohnung für das Existenzminimum“ diskutiert.

Nicht verwunderlich also, dass er 1932 neben dem Künstler und Architekten El Lissitzky (Band 1-Russland) und dem Journalisten Roger Ginsburg (Band 3- Frankreich) in der Serie „Neues Bauen in der Welt“ mit dem Band 2- Amerika erneut ein ganzes Buch herausbringen darf.

Die folgenden zwei Jahrzehnte sind primär mit dem Planen und Bauen erfüllt. Wenngleich er seine Mitarbeiter im Büro in Kalifornien und später viele andere Architekten auf der Welt entscheidend prägt, hat er keine Lehrtätigkeit an einer ordentlichen Universität, so wie sie andere aus Deutschland emigrierten Kollegen aufnehmen (Walter Gropius, Mies van der Rohe, Josef Albers), ausgeübt. Seine eigene Architekturauffassung und Philosophie publiziert er 1954 im Buch „Survival Through Design“ (Oxford University Press), zu Deutsch „Gestaltete Umwelt“ oder „wenn wir weiterleben wollen…“ mit dem signifikanten Untertitel „Erfahrungen und Forderungen eines Architekten“. Gleichzeitig erscheinen sowohl im englischsprachigem als auch deutschsprachigem Raum diverse Architekturmonographien über Neutra.

Mit 70 Jahren, 1962, verfasst er seine Biographie im Buch „Life and Shape“ (Titel der deutschen Ausgaben „auftrag für morgen“, 1962 bzw. „Leben und Gestalt“, 2014). Authentisch berichtet er von frühesten Kindheitserinnerungen in der Wiener Familie der Jahrhundertwende über seine Umsiedlung nach Amerika oder von seinen Lehrern, Gefährten sowie Bauherren bis hin zu seinen aktuellen Bauaufgaben der 1960er Jahre wie dem Bau einer Wohnsiedlung in Walldorf. Damit ist ihm nicht nur ein Zeitzeugniss seiner letzten Lebensjahre gelungen, sondern ein Rückblick auf die persönlichen und weltlichen Ereignisse der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts.

Cover zu Richard Neutra, „Amerika“, Anton Schroll & Co., Wien 1932

Cover zu Richard Neutra, „Amerika“, Anton Schroll & Co., Wien 1932

Typographie

Der Architekturfotograph Julius Shulman hat viele Bauten Neutras dargestellt und nicht unwesentlich durch seinen prägnanten Stil zur Bekanntheit des Werks von Richard Neutras beigetragen. Auf diesen Fotografien sind auch immer wieder von Neutra gestaltete Schriftzüge und Ziffern an den Gebäuden zu erkennen. Exemplarisch entwarf Neutra nämlich verschiedene Schriften für seine Gebäude und auf seinen Architekturzeichnungen. Diese Schriften zeichnen sich durch eine Geradlinigkeit und Modernität aus, die auch an die Schriften des Neuen Frankfurts oder des Bauhauses erinnern. Seit 2002 ist dieses Graphische Werk aus Buchstaben und Ziffern durch Gestaltung des Designer Christian Schwartz in der Schriftfamilie Neutraface von House Industries zusammengeführt.

Quelle____________   __________ 

Typografie Neutraface